Wenn Energien fliessen und Gefühle einen ganzen Raum ausfüllen

In einer Gruppenaufstellung steht jeweils eine Person mit einem Anliegen im Mittelpunkt. Die übrigen Anwesenden fungieren als Stellvertreter*innen für die Rollen und Beziehungen im System. Durch die Dynamik und die Bewegungen, die während der Aufstellung entstehen, ergibt sich ein Bild der persönlichen Situation und mögliche Lösungsschritte werden sichtbar.

Vor jeder Aufstellung gibt es ein ausführliches Gespräch

In der heutigen Sitzung möchte Manuela*, eine Frau Anfang zwanzig, ein Anliegen bearbeiten.

Wie jede Aufstellung startet auch diese Sitzung mit einem Gespräch. Meist findet dieses an einem separaten Termin vor der Aufstellung statt, heute erfolgt es am Tag der Aufstellung. Manuela erklärt ihr Anliegen: Sie möchte ihrer Familie, insbesondere ihrer Schwester und Mutter, wieder näherkommen. Die letzten Jahre verbrachte sie im Internat, der Kontakt zur Familie war weniger geworden und durch verschiedene Vorkommnisse belastet.

Manuela berichtet von ihrer Familie, von ihren getrennten Eltern, den Grossmüttern, der eigenen Kindheit. Ute macht sich Notizen und stellt zielgerichtete Fragen. Im Gespräch kristallisiert sich heraus, dass die Manuela von heute nicht mehr dieselbe ist wie die Manuela von früher. Die örtliche Veränderung brachte eine Veränderung der Identität mit sich.

Aufstellungen eignen sich für verschiedenste Anliegen und Fragen

Ute und Maya ist es wichtig, ihre Aufstellungen wohlwollend und sanft zu gestalten. Von einer radikalen, invasiven Art der Aufstellung distanzieren sie sich. Ziel ihrer Arbeit ist es nicht, Traumata hervorzuholen, sondern Erkenntnisse zu gewinnen und Stärke zu finden.

Aufstellungen eignen sich für verschiedene Anliegen: Sucht, Krankheiten, lähmende Glaubenssätze, Befreiung, Vergebung.

Nach dem Gespräch entscheiden Manuela und Ute gemeinsam, wen und was Manuela heute aufstellen will: Da gibt es die Manuela der Kindheit (die kleine Manuela), die heutige Manuela (die grosse Manuela), die Schwester Anja sowie die Mutter Sarah.

Manuela wendet sich an die Frauen und Männer in der Runde und fragt, wer als Stellvertreter*in unterstützen möchte. In jeder Aufstellung gibt es die Möglichkeit, sich als Stellvertreter*in zu beteiligen oder als Beobachter*in teilzunehmen. Heute können sich alle vorstellen, als Stellvertreter*in dabei zu sein und Manuela fragt vier Personen, ob sie für die nächsten zwei Stunden die kleine Manuela, die grosse Manuela, Anja oder Sarah sein möchten.

In einer Aufstellung geht es um Intuition, Gefühle und Energien

«Stell die Leute dahin, wo du das Gefühl hast, dass sie stehen müssen», leitet Ute Manuela an. Manuela schiebt die Stellvertreter*innen sanft durch den Raum und platziert sie an verschiedenen Stellen. Dann setzt sie sich auf einen Stuhl.

In einer Aufstellung werden die Stellvertreter*innen intuitiv im Raum angeordnet. So entsteht ein Bild der Beziehungen zwischen den Personen. Was im Inneren eines Menschen passiert und abgespeichert ist, wird im Aussen sichtbar gemacht. Werden die Plätze der Stellvertreter*innen später verändert, so wirkt sich das wiederum darauf aus, wie die Situation im Inneren erlebt wird.

Plötzlich springt Manuela auf und ruft: «Es stimmt doch nicht!» Sie platziert die kleine Manuela und die Mutter neu und setzt sich wieder.

Eine Aufstellung arbeitet auf der Körperebene

Ute geht im Raum umher und fragt die Stellvertreter*innen, wie es ihnen geht. Der Stellvertreter der kleinen Manuela zittert und erklärt, dass er sich unwohl fühlt an seinem Standort. Er wisse aber nicht, wohin er sonst gehen solle, er sei wütend und traurig. Dann sackt er auf die Knie.

Im Gegensatz zu einem Gespräch, das auf der kognitiven Ebene stattfindet, arbeitet man in einer Aufstellung mit dem Körper. Das hilft den Teilnehmenden, schnell Zugang zu ihren Gefühlen zu finden.

Während der nächsten Stunde pendelt Ute zwischen den vier Stellvertreter*innen und Manuela, die ihre Beine hochgezogen hat und sie fest umklammert. Im Raum und zwischen den Menschen entwickelt sich eine Dynamik, die sich schwer in Worte fassen lässt. Die junge Frau sitzt mit Tränen in den Augen da und beobachtet, wie ihr früheres und heutiges Ich sich immer näherkommen und sich doch nicht finden.

Ute begleitet, stellt Fragen, macht Vorschläge, holt Bedürfnisse ab. Das Geschehen im Raum konzentriert sich nun auf die kleine und grosse Manuela. Ein Dialog entsteht zwischen den beiden Stellvertreter*innen und der Abstand zwischen ihnen verkleinert sich – im realen und übertragenen Sinne. Ute schlägt der echten Manuela vor, mit der kleinen Manuela Kontakt aufzunehmen, mit ihr zu sprechen, sie zu berühren. Manuela kauert weinend neben dem Stellvertreter, sie unterhalten sich leise.

Die Teilnehmenden werden auch nach der Aufstellung betreut

Nach knapp zwei Stunden leitet Ute das Ende der Sitzung ein. Die echte Manuela ist erschöpft. Sie entlässt alle Stellvertreter*innen aus ihrer Rolle und bedankt sich bei ihnen.

Für Ute und Maya ist es wichtig, allen Teilnehmenden einen guten Abschluss zu ermöglichen und sie auch im Nachgang zu betreuen. Oft starten nach einer Aufstellung innere Prozesse bei den Teilnehmenden, insbesondere bei der Person, die ein Anliegen bearbeitet hat. Dies wird in Folgegesprächen thematisiert und wer möchte, kann zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Sitzung absolvieren. So werden Schritt für Schritt Erkenntnisse gewonnen, man tastet sich zum Kern des eigenen Ichs, den eigenen Bedürfnissen und Herausforderungen, vor.

Die zehn Menschen verlassen den Raum, sie reden und lachen. Sie gehen zu einem gedeckten Tisch auf der Terrasse und freuen sich auf das gemeinsame Mittagessen. Die Fliege verlässt ihren Beobachtungsposten an der Decke und segelt hinunter zum Tisch, auf dem einige Kuchenstücke liegen. Sie blickt sich kurz um, putzt ihren Rüssel und stürzt sich aufs Buffet.

*Hinweis: Alle Namen im Text, ausser jene von Maya Grossmann und Ute Kottwitz, sind geändert, um die Privatsphäre der Teilnehmenden zu schützen. Was in einer Aufstellung besprochen wird, ist vertraulich.